Man sagt, wer die Welt verstehen will, sollte einen Hund, eine Katze und ein Stück Land haben. Hier auf der Olivenfarm in Portugal scheint dieses Sprichwort wörtlich genommen worden zu sein – nur dass jemand noch ein paar Pfauen, freilaufende Hühner hinzugefügt hat.
Die Atmosphäre ist friedlich, ja beinahe magisch. Nebel umspannt die Olivenbäume wie ein Schleier, und die ersten Sonnenstrahlen brechen durch die Zypressen, die das Anwesen bewachen. Alles scheint still, ruhig und in einer Art natürlichem Gleichgewicht – zumindest auf den ersten Blick.
Doch das Leben hier hat seine eigenen Regeln, und diese Regeln werden von einer stillen, aber unmissverständlichen Autorität aufrechterhalten: der Border Collie-Dame. Sie ist mehr als nur ein Hund – sie ist die unbestrittene Herrscherin über den Olivenhain. Mit Menschen ist sie freundlich, ja beinahe charmant, und ihre großen, wachsamen Augen scheinen zu sagen: „Du darfst hier bleiben, solange du weißt, wer das Sagen hat.“
Mit Hunden hingegen versteht sie keinen Spaß. Ihre Methode der Konfliktbewältigung ist beeindruckend subtil. Ohne ein Knurren, ohne ein Bellen, zeigt sie lediglich die Zähne, und jeder andere Hund – egal ob groß oder klein – versteht sofort, dass er sich zurückziehen soll. Am Tag unserer Ankunft genügte ein einziger Blick von ihr, um meinen Schnauzer Moordeibel in die Schranken zu weisen. Er zog sich gedemütigt soweit es die Leine erlaubte zurück, wo er den Rest des Tages damit verbrachte, seinen Stolz wieder zusammenzusetzen.
Die anderen Tiere respektieren ihre Position ebenfalls. Die Pfauen, die tagsüber majestätisch zwischen den Olivenbäumen stolzieren, machen ihr bereitwillig Platz. Die Katzen hingegen … nun, die Katzen sind eine eigene Geschichte.
Tagsüber erklettern sie mit frecher Präzision alles, was ihnen in die Quere kommt – Bäume, Dächer und gelegentlich meinen Camper. Abends, wenn die Dämmerung den Olivenhain in ein sanftes Orange taucht, werden sie zu regelrechten Banditen. Mit lautem Gepolter stießen sie den Mülleimer um, nur um an die letzten Leckereien zu gelangen, die noch an den Verpackungen hafteten.
Schüchternheit kennen sie nicht. Während ich schreibe, schläft eine der Katzen auf meinem Schoß, während die andere mit erstaunlicher Eleganz auf meiner Schulter balanciert und kritisch prüft, ob ich die Geschichte dieser Farm auch angemessen erzähle. Moordeibel sitzt drinnen und winselt leise, überwältigt von so viel frechem Selbstbewusstsein.
Doch das eigentliche Drama begann an einem dieser scheinbar ruhigen Morgen. Der Hund des Nachbarn, ein kniehoher Mischling in Cappuccino-Braun, mit stümperhaft beschnittenen Ohren und Rute, tauchte plötzlich auf. Er musste aus dem Nachbarhaus herausgehuscht sein, und ich hörte, wie sein Besitzer ihn rief – streng und laut, als wollte er verhindern, dass etwas passiert. Doch genau dieses Rufen machte Moordeibel neugierig. Mein Hund hob den Kopf, lauschte, und ehe ich reagieren konnte, war er draußen.
Vielleicht war es die Neugier, vielleicht eine gewisse gekränkte Eitelkeit. Die Herrscherin des Olivenhains hatte ihn noch vor kurzem mit einem einzigen Blick und gefletschten Zähnen so deutlich degradiert, dass es beinahe schmerzlich anzusehen war. Jetzt sah Moordeibel seine Chance, sich zu beweisen.
Die Begegnung war unvermeidlich. Moordeibel und der Mischling trafen sich direkt an der imaginären Grenze zwischen unserem und ihrem Revier. Ein Moment des Zögerns, dann brach das Chaos los. Ein wildes Gerangel, begleitet von aufgeregtem Bellen, knurrenden Kehlen und dem scharfen Rascheln von Kies, das unter ihren Bewegungen aufgewühlt wurde. Es war keine ernsthafte Auseinandersetzung – ein paar Schrammen hier, ein Büschel Fell da – aber laut und hektisch genug, um die Idylle des Morgens zu zerreißen.
Dann kam der Nachbar.
Er stürmte aus dem Haus, seine Schritte schwer und entschlossen, seine Stimme schrill vor Wut. Über sechzig, mit einem Gesicht, das scharfkantig und verbittert wirkte, und einem Kopf, der vor Wut purpur leuchtete. Seine Frau stand in der Tür, beobachtete die Szene, aber sie machte keinen Schritt nach draußen. Vielleicht konnte sie ihn nicht bändigen, vielleicht wollte sie es auch gar nicht versuchen.
Als ich die Hunde endlich auseinandergebracht hatte, traute er sich näher. Mit einem riesigen Knüppel in der Hand stürmte er auf Moordeibel zu und schwang ihn in einem wütenden, unkontrollierten Bogen. Der Knüppel rauschte knapp an meinem Ohr vorbei – sein Glück, dass er mich und meinen Hund verfehlte. Für einen Moment war ich sprachlos. Mein Herz raste, und doch sagte ich noch „Sorry“, fast wie automatisch, bevor ich Moordeibel an mich zog und wir uns schnell entfernten. Minutenlang hörte ich noch seine Schreie, die zwischen den Olivenbäumen widerhallten, schrill und eindringlich wie eine schmerzhafte Störung der friedlichen Landschaft.
Eine Stunde später kam die Gendarmerie – wie so oft. Der Nachbar rief sie ständig, mal wegen einer Kleinigkeit wie einem Pfauenschiss, mal wegen eines lauten Gesprächs. „Die kennen ihn schon“, erklärte der Campingplatzbesitzer später mit einem resignierten Lächeln. „Er ist ein stadtbekannter Säufer. Es ist auch kein Geheimnis, dass er seine Frau schlägt. Aber die Gendarmerie? Die kommen nur, um die Situation kurz zu beruhigen. Sie wissen genau, mit wem sie es zu tun haben, und behandeln ihn wie ein Ärgernis, das sie nicht loswerden können.“
Er seufzte und fügte hinzu: „Sein Haus ist übrigens illegal gebaut. Hier in Portugal gibt es viele solche Häuser, die ohne Genehmigung entstanden sind. Die Restrikte reißen diese Häuser nach und nach ab. Das Karma wird den Rest tun.“
Sein Ton war nüchtern, beinahe fatalistisch, und ich fragte mich, wie viele Geschichten er schon miterlebt hatte, die nie wirklich ein Ende fanden.
Am Abend kehrte die Frau des Campingplatzbesitzers von der Arbeit zurück. Als sie an unseren Camper klopfte, hielt sie ein frischgebackenes Brot in der Hand – eine Geste, die gleichzeitig gastfreundlich und entschuldigend wirkte.
„Ich habe gehört, es gab einen Fight?“ sagte sie mit einem verschmitzten Lächeln, während sie uns das Brot überreichte. „Das ist das beste Brot, das ihr je essen werdet. Ihr werdet es lieben.“
Ich stammelte etwas: „Ach … es war eine kleine Rangelei. Ein paar Schrammen, aber nichts Ernstes.“ Während ich sprach, prüfte ich meine Erinnerungen. Es war laut gewesen, ja, aber nichts, was in die Kategorie „ernsthaftes Drama“ fiel. So etwas passiert eben. Hunde streiten sich, genau wie Kinder oder Großeltern, die in unpassenden Momenten etwas Peinliches tun.
Die Campingplatzbesitzerin grinste nur und nickte, als würde sie genau wissen, dass es bei dieser Geschichte weniger um Hunde und mehr um Menschen ging.
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