Obdachlosigkeit ist Luxus – den wir uns leisten
Obdachlosigkeit ist keine Naturkatastrophe. Sie ist eine teure, bewusst gewählte Praxis, die mit Menschlichkeit und Vernunft längst nichts mehr zu tun hat. Es wäre nicht nur humaner, sondern auch günstiger, den Menschen Wohnungen zu geben. Stattdessen geben wir Millionen aus, um sie zu vertreiben, unsichtbar zu machen und mit Maßnahmen zu überziehen, die sie entmenschlichen. Willkommen in einer Gesellschaft, die Obdachlosigkeit als Luxusproblem behandelt – aber nicht für die Betroffenen, sondern für uns.
Das unsichtbare Preisschild der Vertreibung
Städte in Deutschland geben jährlich Millionen aus, um das “Problem Obdachlosigkeit” buchstäblich zu verschieben, statt es zu lösen. Jede Vertreibung eines obdachlosen Menschen aus Bahnhöfen, Parks oder öffentlichen Räumen erfordert Polizeieinsätze, Reinigungsteams und Planungen, die immense Kosten verursachen. Und wofür? Damit du morgens nicht mit der Realität konfrontiert wirst, dass Menschen im Freien schlafen müssen.
Ein besonders zynisches Beispiel: In München installierte die Stadt vor einigen Jahren Metallpoller unter Brücken, um Schlafplätze zu verhindern – eine Maßnahme, die nicht nur unnötig teuer war, sondern die Menschen in noch gefährlichere Situationen zwang. Lautsprecher, die unangenehme Geräusche abspielen, oder das Entfernen von Unterständen in anderen Städten folgen der gleichen Logik: Menschen, die nichts haben, sollen aus dem Blickfeld verschwinden. Obdachlosenfeindliche Architektur ist nicht nur unmenschlich – sie ist ein Spiegelbild unserer Prioritäten.
Frankreich zeigt, wie teuer diese Strategien werden können: Paris gibt jährlich über 30 Millionen Euro für Vertreibungen aus – Geld, das tausende Wohnungen hätte finanzieren können. Doch Lösungen sind unbequem, während Probleme unsichtbar machen einfacher ist.
Warum Housing First günstiger und besser ist
Finnland zeigt, wie es besser geht. Seit 2008 verfolgt das Land das “Housing First”-Modell, das obdachlosen Menschen Wohnungen zur Verfügung stellt, ohne Vorbedingungen wie eine Jobsuche oder Therapie. Begleitende soziale Dienstleistungen helfen den Betroffenen, sich langfristig zu stabilisieren. Das Ergebnis: Die Obdachlosigkeit sank um 40 %, und 80 % der Betroffenen konnten dauerhaft in Wohnungen bleiben.
Noch eindrucksvoller sind die Einsparungen: Ein obdachloser Mensch kostet den finnischen Staat auf der Straße durchschnittlich 15.000 Euro jährlich – durch Gesundheitskosten, Polizeieinsätze und Notunterkünfte. Mit Housing First konnten diese Kosten auf etwa 5.000 Euro reduziert werden. Das Prinzip ist simpel: Menschen sind produktiver, gesünder und belastbarer, wenn sie ein Dach über dem Kopf haben. Deutschland könnte viel von Finnland lernen – aber vielleicht ist Lernen auch unbequem.
Das soziale und politische Versagen hinter der Vertreibung
Warum setzt Deutschland nicht auf Housing First? Weil es unbequem ist. Statt Wohnungslose als Menschen zu sehen, die Rechte und Würde verdienen, behandeln wir sie wie Probleme, die verschwinden sollen. Vertreibungsmaßnahmen und das Entfernen von Schlafplätzen entmenschlichen und verschieben das Problem nur.
Obdachlosigkeit ist lebensgefährlich: Ohne ein Dach über dem Kopf sterben Menschen im Schnitt 30 Jahre früher, leiden häufiger an chronischen Krankheiten und sind oft Opfer von Gewalt. Trotzdem entscheiden wir uns für Strategien, die teuer, unmenschlich und letztlich erfolglos sind. Die Realität: Nicht die Obdachlosen fehlen an Menschlichkeit – sondern die Gesellschaft, die sie so behandelt.
Kritik am Nationalen Aktionsplan 2030: Verwalten wir nur Obdachlosigkeit, oder überwinden wir sie auch?
Die Bundesregierung hat mit dem Nationalen Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit das Ziel formuliert, Obdach- und Wohnungslosigkeit bis 2030 zu überwinden. Doch dieses Ziel ist nicht nur unrealistisch – es ist schlichtweg unmöglich, wenn die aktuelle Politik fortgeführt wird.
Die Versprechen? 400.000 neue Wohnungen pro Jahr, davon 100.000 Sozialwohnungen. Die Realität? 2023 wurden nur 295.000 Wohnungen fertiggestellt – und der Anteil an Sozialwohnungen war erschreckend niedrig. Von den geplanten 100.000 Sozialwohnungen wurde nicht einmal ein Bruchteil gebaut. Gleichzeitig fallen jährlich etwa 50.000 Wohnungen aus der Sozialbindung, weil Mietpreisbindungen auslaufen. Wir verlieren also mehr, als wir aufbauen.
Der Aktionsplan bleibt eine Absichtserklärung ohne Zähne. Es fehlen konkrete Maßnahmen, klare finanzielle Verpflichtungen und eine realistische Einschätzung der Lage. Man verwaltet Obdachlosigkeit – aber überwinden wird man sie so nicht.
Statistik: Immer weniger Sozialwohnungen, steigende Wohnungslosigkeit
Die Zahl der Sozialwohnungen in Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten dramatisch reduziert. Von etwa 2,1 Millionen im Jahr 2006 auf rund 1,1 Millionen im Jahr 2023. Das liegt daran, dass viele Wohnungen nach Ablauf der Förderzeit aus der Sozialbindung fallen – ein Problem, das Jahr für Jahr eskaliert. Währenddessen steigen die Zahlen der Wohnungslosen rapide: Im Jahr 2022 waren schätzungsweise 678.000 Menschen ohne eigene Wohnung, ein Anstieg von 4,2 % gegenüber dem Vorjahr.
Kritik: Klimaneutrale Wohnungen sind elitär – es braucht einen klimafreundlichen Städtebau, der auch Sozialwohnungen umfasst
Der Trend zu klimaneutralen Neubauten ist grundsätzlich positiv. Doch viele dieser Wohnungen sind für einkommensschwache Menschen schlicht unerschwinglich. Sozialwohnungen werden in diesen Bauplänen oft nicht berücksichtigt – was bleibt, ist ein nachhaltiger Luxus für die Elite. Ein wirklich klimafreundlicher Städtebau muss auch bezahlbaren Wohnraum für alle schaffen, sonst wird der soziale Wohnungsbau endgültig abgehängt. Alles andere ist grüne Kosmetik, die Armut unsichtbar macht.
Fazit: Wir könnten besser sein – aber wollen wir das?
Die Rechnung ist einfach: Housing First kostet weniger, rettet Leben und gibt den Menschen die Würde zurück, die sie verdienen. Trotzdem entscheiden wir uns für eine teure, unmenschliche Praxis, die Obdachlosigkeit als unvermeidbare Realität akzeptiert.
Obdachlosigkeit ist keine Tragödie, die uns aufgedrängt wird – sie ist eine politische Entscheidung. Solange wir wegsehen, wird sich nichts ändern. Wie lange noch wollen wir uns Armut leisten, um unser Gewissen zu beruhigen?
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