Es war Sommer.
Ich erinnere mich nicht an erdrückende Hitze und ins Schwitzen kam ich erst später.
Es war ein normaler Tag.
Ich saß im Büro, ging meiner Arbeit nach und ahnte keine besonderen Vorkommnisse.
Da kam eine Nachricht. Nicht per Eule oder unter verschlossener Bürotür durchgeschoben. Sie kam unbeeindruckt per Outlook.
Ich öffnete das Postfach. Es war eine interne Info-Mail und da weder meine Ablage noch meine To-do-Liste einem Tsunami drohte, las ich in Ruhe den Firmen-Spam mit der Überschrift: Firmenlauf zur Spätschicht. Laufen für eine gute Sache.
Ich starrte auf den Monitor. In meinem Kopf knacksten die Synapsen.
Laufen kann ich, bereits seit Jahrzehnten. Und mit so etwas Alltäglichem leistet man Gutes?
Ich dachte nicht weiter nach, klickte auf antworten und schrieb: Ich bin dabei.
Von Aufregung getrieben musste ich das gleich meinen Kollegen und Kolleginnen kundtun.
Vor meinem geistigen Auge sah ich uns schon, über fünfhundert Leute, die für eine gute Sache liefen. Ich rechnete auf ihre freudige Unterstützung.
Aber wie so oft im Leben war ich wieder einmal über eine unsichtbare Grenze hinausgeschossen. Meine vermeintlichen Mitstreiter und Mitstreiterinnen reagierten etwas verhalten. „Laufen bedeutet rennen, meine Liebe“, zügelten sie meinen euphorischen Rausch.
Ich musste schlucken. Um ehrlich zu sein, war mir das in meiner Anfangseuphorie gar nicht bewusst: Laufen bedeutet rennen.
Es machte wohl einen Unterschied, ob ich 5,2 Kilometer spazierte oder rannte. Mit Joggen hatte ich nichts am Schuh. Egal, es war für eine gute Sache. Und joggen ist doch nur etwas schnelleres spazieren.
Da meine Gedankenwelt eher robuster Natur ist, konzentrierte ich mich auf Schuhe: Ich brauchte Laufschuhe. Und weil konsumieren beruhigt, kaufte ich auch einen Sport-BH. So sehr sich meine Gedanken auf die Vorfreude des anstehenden Abenteuers richtete, genauso verunsicherte mich, ganz tief im hinteren Hirnstübchen, die Ablehnung meiner Kollegen und Kolleginnen; waren sie doch allesamt ständig beim Sport und ich war die gewesen, die sich wehrte, mitzugehen. Wussten sie etwas, das ich nicht wusste?

Der Unmut kroch in die Untiefen meiner Hirnwindungen und am Abend besprach ich mein Vorhaben mit einem guten Bekannten, der Ultra-Marathon lief.
Sein Tipp klang gut: „Langsam anfangen, mit Pausen dazwischen.“
Ich hatte drei Wochen Zeit, das sollte mir doch gelingen. Oder innerer Schweinehund, was meinst du? Komm runter von der Couch, wir gehen joggen.
Die Zeit verflog und mein Gehirn hatte das Aktivitäten-Areal auf Pause gesetzt. Vielleicht hätte ich mein Schweinchen mit einem Stirnband ködern können. Trägt nicht jeder erfolgreiche Sportler ein solches? Also zumindest Tennisspieler. Das hatte ich in meiner Kindheit im Fernsehen gesehen. Ich erinnere mich nicht, warum ich es mir anschaute; Sport ist eigentlich nicht mein Ding. Es muss meinem Bruder gefallen haben.
Und schon waren die drei Wochen vorüber und ich lief in Summe keine 5,2 Kilometer. Aber mein Kampfgeist war ungebrochen, war es doch nur ein oller Lauf. Was sollte da schon passieren; entweder ich schaffte es oder eben nicht. Mitmachen ist alles.

Ach, wie naiv ich sein kann. Niedlich, oder?
Aber eins nach dem anderen.

Da war er nun, der Tag der Tage. Der Tag, an dem ich mich wie eine Sportgöttin aus der Asche erhob. Mit Sport-BH und Laufschuhen gewappnet stürmte ich aus dem Büro zum Ort des Geschehens. Da standen sie, meine Kollegen und Kolleginnen, wie Adonis und Nike, mit modellierten Muskeln.
Wir bekamen Firmen-Lauf-Shirts und es wurde eifrig ausgetauscht, wer, wo und wie viel Kilometer in welcher Zeit läuft.
Da waren sie, meine Zweifel, sie krabbelten wie Hauswinkelspinnen aus meinen Ohren. Im Magen wurde es flau. Ich musste diesen Lauf vollkommen falsch interpretiert haben. Diese Leute hier waren Sportbesessene. Ich bekam es mit Dämonen zu tun, wurde äußerlich immer ruhiger, innerlich brodelte es.
Die Kollegen und Kolleginnen kannte ich nicht wirklich. Den einen hatte ich mal auf dem Flur gesehen, andere waren mir total unbekannt. Ich könnte einfach verschwinden und niemand würde es bemerken.
Wie dumm nur, das Aufgeben nicht zu meinen Kernkompetenzen gehört. Natürlich hätte ich eine Ausnahme machen können, aber ich wusste ja zu diesem Zeitpunkt nicht, wie sich diese Geschichte weiterentwickelte. So nahm das Drama seinen Lauf.
Die Firmen starteten versetzt. Mein Herz überschlug sich schon vor dem ersten Schritt.
Endlich erreichten wir den Start, wo eine neue Überraschung sich einreihte. Zwei unserer Vorstandsmitglieder machten mit. „Und als Firmenlauf laufen wir auch zusammen durchs Ziel.“ Mein Kopf surrte: Es tut mir leid, es tut mir so furchtbar leid, als wir starteten. Ich fühlte mich wie in einer gallertartigen Zwischendimension gefangen, gegen die ich anrannte. Und als Schlusslicht wurde mir schwindelig, als vor mir ein Adonis lief, der es zu Mittag sehr großzügig mit Knoblauch meinte. Hatte ich schon meine empfindliche Nase erwähnt?

Atme, atmen nicht vergessen.

Ich bewegte mich in einer stoischen Ohnmacht, nur in Blitzlichtern nahm ich meine Umwelt wahr. Der eine Vorstandsmitglied war sehr angetan von meinem Kampfgeist, ohne Kondition beim Lauf dabei zu sein. Es sollte mehr geben wie mich, die Mut zeigen, die Mitmachen, die über sich hinauswachsen. Er wurde ganz überschwänglich und bildete mit mir und zwei Praktikantinnen, die mich unterstützen wollten, das Schlusslicht.
In Gedanken ergänzte ich seine Lobhudelei mit: Personen, die naiv sind und nicht nachdenken wollen.

Atme, atmen nicht vergessen.

Bei einer Brücke, über die wir den Fluss überqueren mussten, hätten wir die Hälfte der Strecke geschafft, so wurde es erzählt. Und da war sie schon, die Brücke. Ich wurde euphorisch. Vergaß das Atmen. Ich sah sie, die Brücke.
Den Weg schaff ich auch zurück. Das war ja ein Kinderspiel. Ein breites Grinsen schob sich an meiner Anspannung und Anstrengung vorbei. Doch wir rannten an der Brücke weiter. Das musste ein Missverständnis sein. Ich schaute mich um, die Brücke um Hilfe suchend an.
Wir laufen zu weit. Ich keuchte: „Brü… cke.“
Eine Mitläuferin flötete unbeeindruckt: „Nein, nein, es ist die vierte Brücke, ich habe es auf Google Maps nachgeschaut.“
Firma für Firma zogen an mir vorüber.
Ich starrte nach vorn. Ich sah keine weitere Brücke.
Das Vorstandsmitglied scherzte, als er seinen Hightech-Sportsaktivitäten-Chronometer konsultierte, wie weit wir denn schon gelaufen waren: Neunhundert Meter.
Vor meinen Augen wurde es schwarz. Der Atem blieb mir in den Lungenflügeln stecken. Ich schaute nach hinten. Wir hatten noch nicht einmal einen Kilometer geschafft?
In meinem Kopf flackerte es und der Autopilot sprang an.

Atme, atmen nicht vergessen.

In meinem unterversauerstofften Gehirn verkurzschlussten meine Gedanken.
Ein Team Kurz-vor-dem-Ruhestand überholte uns. Ich verlangsamte meinen Schritt, wollte mich zurückfallen lassen. Zurück zur Brücke Nummero Eins flüchten, um dort den Fluss zu überqueren und hinter einem Busch auf mein Team zu warten, in das ich mich frischen Atems einreihen könnte. Rückblickend finde ich diesen Plan noch heute sehr erstrebenswert, nur würde meine Abwesenheit nach dem tölpelhaften Überholvorgang allzu schnell auffliegen.
Hatte ich schon erwähnt, was meine Kollegen und Kolleginnen veranstalteten? Sie rannten hundert Meter vor und wieder zurück, hundert Meter vor und wieder zurück, ich fühlte mich wie eine Stop-Motion-Animation. Was wäre passiert, wenn ich abhandengekommen wäre? Hätte es ihren Sportsgeist angespornt? Wie ein Rudel Jagdhunde hätten sie mich gestellt und zum Weiterlaufen angekläfft. Ich schüttelte diese angsteinflößende Vorstellung von mir ab, da waren sie wieder eingereiht, meine treuen Gefährten und Gefährtinnen.
Ich keuchte: „Wie … weit?“
Gedämmt nahm ich ihre Worte wahr: „Schon 1,3 Kilometer.“
Sie drehten ihren Motivationskanal auf, säuselten und flöteten freudig vor sich hin.
Meine weiteren Kollegen und Kolleginnen, die nicht auf meiner Höhe blieben, mussten bereits einen Halbmarathon bewältigt haben. Ich setzte einen Fuß vor den anderen.

Atme, atmen nicht vergessen.

Und irgendwann kam sie: die Brücke. Die Brücke, über die wir den Fluss überquerten. Der Fußgängerweg war sehr schmal, sodass wir hintereinander laufen mussten.
Hinter uns die nächste Firma. Sie drängelten nicht, aber ich wollte sie auch nicht ausbremsen, so einigten wir uns, dass mich einer von ihnen leicht anschob. Die Brücke war wie im Rausch vorüber und tatsächlich habe ich an den Rückweg keinerlei Erinnerung mehr.
Ich muss weiter geatmet und einen Schritt vor den anderen gesetzt haben, sonst könnte ich diese Geschichte jetzt nicht erzählen.
Kurz vor dem Ziel setzen meine Bilder wieder ein. Ich sehe sattes Grün, eine Wiese und wie ich mich, auf meine Knie gestützt vor Anstrengung übergab. Ich weiß nicht, ob ich den Schuh des Vorstandmitgliedes erwischt hatte.
Da wurde der Plan geschmiedet, wir laufen nicht nur gemeinsam durchs Ziel. Nein, wir laufen zusammen mit erhobenen Armen über die Ziellinie. Meine Hände sollten rechts und links hochgehalten werden von je einem Vorstandsmitglied. Für das Siegerfoto, versteht sich. Keine Ahnung was der Typ für einen Film vor Augen hatte. Ich war zu schwach und ergab mich, nach meiner letzten Mahlzeit, nun meinem Schicksal.
Mir war alles egal.

Atme, atmen nicht vergessen.

Und so überquerten wir die Ziellinie, mit erhobenen Handgelenken.
Was soll ich sagen, ich war berauscht von dem sagenumwobenen Runner’s High.
Welch Euphorie, welch Hochgefühl.
Ich trank ein isotonisches alkoholfreies Bier und fuhr breit grinsend nach Hause.
Mein Ultra-Marathon-laufender guter Bekannter feierte mich, weil ich mich übergeben hatte. Er schien schon fast neidisch. Das hieße doch, dass ich über meine Grenzen hinausgelaufen sei. Na ja, diese Sportler werde ich wohl in meinen jetzigen Leben nicht mehr verstehen, beziehungsweise verstehen wollen.
Aber ich legte mich an diesem Abend als Heldin ins Bett.

Am nächsten Morgen wurde ich mit Spannung im Büro empfangen.
Meine Beine brannten. Wie in einem Albtraum, in dem man nicht von der Stelle kommt, zog ich mich am Geländer die Treppen hoch. Ein Fuß vor den anderen setzend.
Ich musste meine Geschichte erzählen, wieder und wieder. Jedes Detail, an das ich mich erinnerte. Umso peinlicher, umso amüsanter. Ach haben wir gelacht.
Dann kam die nächste Überraschung. Im Laufe des Tages tauchte mein Fan – das Vorstandsmitglied in meinem Büro auf. Er erkundigte sich, wie es mir gehen würde. Taufrisch natürlich, als sei nichts geschehen. Zum Glück saß ich auf meinem Bürostuhl, im Stehen hätte er meine zitternden Beinmuskeln nicht übersehen können. Und ich scherzte natürlich, wann sei der nächste Lauf, ich wäre dabei.
Meine Bürokollegen und -kolleginnen staunten bei dem hohen Besuch und umringten mich. Das nächste Mal liefen sie auch mit, wenn es so eine Anerkennung aus den höheren Etagen dafür gäbe. Nicht aus Überzeugung, sondern um gesehen zu werden.
Natürlich wusste ich, dass ich beim folgenden Lauf nicht dabei wäre. Zumindest nicht für diese Firma. Aber das würde ich erst in einer Woche bekanntgeben.

Welch schöne Geschichte, könnte der Leser oder die Leserin meinen. Es ist eine eindringliche Erinnerung an Mut und Durchhaltevermögen, an Zusammenhalt und Kameradschaft.
Doch dem aufmerksamen Lesenden wird aufgefallen sein, dass ich meist nur von dem einen Vorstandsmitglied erzählte. Dem anderen war ich zuwider. Er wollte nichts mit meiner Schwäche zu tun haben, nur konnte er das bei einem Lauf für die gute Sache nicht zugeben. Und so wie ich, konnte auch er sich nicht entziehen.
Eine Woche später habe ich meine Kündigung eingereicht. Einfach aus dem Grund, weil mein Vorgesetzter mir nichts zugetraut hat. Jedes Mal wenn ich an seine Bürotür klopfte und um mehr Verantwortung bat, gab er mir mehr sinnbefreite Aufgaben.
Ich blicke mit einem Schmunzeln zurück. An eine verrückte Fahrgemeinschaft, die aus der Not heraus gegründet wurde, an all die fabelhaften Menschen, die ich durch meine chaotischen Einfälle kennenlernen durfte. Und wie ich in den Mittagspausen das Büro des Betriebsrates stürmte und rief: „Was kann ich tun, um meinen Chef zu ärgern?“
Aber das ist ein anderes Kapitel meines Lebens.

Diese Geschichte hat mich gelehrt, auf meine weltlichen und sozialen Anschauungen und Impressionen zu achten. Wenn ich von etwas überzeugt bin, muss dabei weder Geld noch Ruhm für mich rausspringen. Setze ich mich dafür ein, mit Feuer und Flamme, so bringt es immer etwas mit sich. Energie kann nicht verloren gehen. Sie verschwindet nicht, sie verwandelt sich in eine andere, in etwas Neues.

Heute bin ich meine eigene Chefin. Schritt für Schritt bin ich gegangen. Stolpern und Scheitern gehört dazu, auf meinen eigenen Weg. Fehler sind Wegweiser zum Ziel. Jede versuchte Abkürzung hat einen Umweg nach sich gezogen.

Aber das wichtigste ist: Atme, atmen nicht vergessen.

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Schlecht gelaunt durch die Pubertät

 

Als ich neun Jahre alt war, kam die Wende. Ich komme aus einer Stadt, die selbst für DDR-Verhältnisse hinterwäldlerisch war. Bei uns kam alles ein bisschen später.
Meine Lieblingslehrerin arbeitet jetzt an der Pommesbude, weil sie bei der Stasi war.

Während meine Mitschülerinnen stolz ihre Brustansätze in floralen Bodies zeigen, verschwindet mein Body in übergroßen Totenkopf-T-Shirts.

In einer Erinnerung übe ich mit einer Mitschülerin eine Choreographie zu Madonnas „Like a Virgin“, in einer anderen sitze ich mit einer anderen Mitschülerin auf einer Friedhofsbank und wir trinken Kellergeister, die wir vorher im Laden gezockt haben.

Meine Erinnerungen sind ein Kaleidoskop der unterschiedlichsten Kameradinnen, Cliquen, Diebstähle, Alkohol, Rauchen, Schule schwänzen, in Gärten einbrechen. Die Liste ist lang, die Konsequenzen selten.

Einmal wurden wir in der Hofpause beim Zigarettenklauen erwischt. Die Hofpause vor der Geschichtsarbeit. Polizei – Revier. Die Eltern meiner Klassenkameradin haben mich mitgenommen.
Konsequenzen?
Wir schrieben die Klassenarbeit nach. Der Detektiv kam nicht zur Verhandlung. Wir haben Hausverbot bekommen.
Ich weiß gar nicht, ob meine Mutter das je erfahren hat. Mein Bruder hat mich zur Verhandlung begleitet, er war damals schon 16. Ich habe ihm dafür zwei Ohrlöcher stechen lassen.

Es kann sehr schnell gehen, dass man abrutscht. Alles geht so schnell. Meine Pubertät ist wie ein Jahrmarkt in meinem Kopf. Viele Eltern merken das gar nicht.

Ich war nie ein Mitläufer. Ich war orientierungslos, gelangweilt, ohne Perspektive.

Aber kein Mitläufer. Manche Leute wurden mir zu grob, zu asozial. Alkohol, Frauen wurden geschlagen. Eine Kneipe wurde überfallen – der Typ wohnte im Block darüber, natürlich wurde er geschnappt. Es gab viele Schlägereien. Überfälle.

Ich fand meinen Weg zu einer Kinder- und Jugendfarm, wo Kiddies Hütten bauen konnten. Das Beste, was mir passieren konnte.
Der erste Lichtblick, der mein Leben in geordnete Bahnen lenkte.
Diese Einrichtung hat mir das Leben gerettet. Und die Gelder für solche Einrichtungen wurden schon damals massiv gekürzt.

Das ist heute eines meiner großen Anliegen.

Dem sozialen Engagement mehr Aufmerksamkeit und Glanz zu verleihen.
Denn bei Streetworkern, Sozialarbeitern und im gesamten Sozialbereich wird nur mit dem Rotstift hantiert.

Interessieren dich mehr Geschichten aus einer rebellischen Jugend?
Dann schau auf meinen Blog.
Oder schreibe mir eine Nachricht und ich schreibe im Blog mehr darüber.

ein Mädchen schaut ängstlich in die Kamera, ein Mann hält ihr den Mund zu
TW: Sexualisierte Gewalt


Meine erste einschneidende Erinnerung, da muss ich gerade erst in die Schule gekommen sein, wenn überhaupt. Ich war mit einer Bekannten unterwegs.

Wir gingen am Friedhof entlang. Am Zaun stand ein älterer Mann mit seinem Ding in der Hand. Meine Begleiterin sagte, er masturbiere. Ich kannte den Ausdruck nicht. Ich habe mir auch nichts dabei gedacht, als ich wieder zu Hause war.

Für meine Begleiterin war es wohl eine größere Sache und sie erzählte es ihrem Vater, der Polizist war. Und da fing das Drama an. Ich musste auf die Wache gehen und Alben voller Straftäter durchsehen, um zu sehen, ob ich den Mann wiedererkannte.

Damals wusste ich noch nicht einmal, dass all diese Männer Straftaten begangen hatten, ich erkannte niemanden wieder.

Das Ende vom Lied war, dass das andere Mädchen ihre Aussage zurückzog und meinte, der Mann hätte wahrscheinlich nur gepinkelt.

Mein Gefühl sagt mir, dass man mir damals vorgeworfen hätte, ich hätte dramatisiert und so einen Aufstand gemacht. Aber ich erinnere mich nicht.

Ein paar Jahre später wurde es deutlicher. Im Plattenbau im Erdgeschoss wohnte ein älterer Herr, der immer an die Balkontür klopfte und sich einen runterholte.
Das Schlimme war, dass er auch eine Frau hatte. Und ein kleines Mädchen war auch öfter da.
Wir haben ein paar Mal geklingelt, um das Mädchen kennenzulernen, ob es ihm gut geht.
Aber es hat nie jemand aufgemacht.
Wir haben bei Nachbarn geklingelt und ihnen Bescheid gesagt. Aber niemand hat uns ernst genommen.
Irgendwann haben wir einfach nicht mehr auf das Klopfen reagiert.

Und heute frage ich mich, ob es derselbe Mann vom Friedhof war.

Aber der Gedanke drängt sich noch mehr auf: Ist das Mädchen unversehrt? Und hat wirklich keiner der Nachbarn etwas bemerkt?

Als ich etwa 12 Jahre alt war, fuhr ich mit meinem Klapprad nach Hause. Ich überholte einen Jungen. Ich wollte ihn nicht ärgern, ich war einfach schneller.
Er ist mir dann hinterhergefahren. Als ich ins Haus ging, um mein Fahrrad in den Keller zu bringen, hielt er mir plötzlich die Tür auf. „Schön“, dachte ich nur.
Er folgte mir in den Keller, drängte mich in eine Ecke und griff mir zwischen die Beine. Ich wehrte mich, schlug um mich. Ich erinnere mich nicht, auch nur einen Laut von mir gegeben zu haben. Es gelang mir, ihn wegzustoßen, ich rannte die Treppe hinauf und klingelte.
Er ist an mir vorbei, auf sein Fahrrad und weg.
Ich habe mein Rad wieder aufgehoben und bin zu meinen Klassenkameradinnen gefahren.
Sie haben mir nicht geglaubt.
Ich habe geschwiegen. Warum sollte ich lügen? Ich habe nie Geschichten erzählt, um mich wichtig zu machen. Warum sollte ich jetzt damit anfangen?
Ich habe den Vorfall schnell vergessen. Es war ja nichts passiert.

Es blieb nur das Gefühl, dass einem niemand glaubt.
Und ich bin fest davon überzeugt, dass jede Frau schon einmal sexualisierte Gewalt erlebt hat.
Viele bagatellisieren die Erinnerung:
Es ist ja nichts passiert.
Das ist doch normal.
Du hast es provoziert.
Hak es ab.


Und ich glaube, dass die meisten Frauen viel schlimmere Erfahrungen gemacht haben als ich.

Agatha Huxley mit 20 Jahren und Schildkröte in der Hand grinst in die Kamera.Adoleszenz

 

In der 8. Klasse bin ich sitzen geblieben. 

In meinen Cliquen wurden die Mädchen herumgereicht, und sowohl Mädchen als auch Jungen haben Sex bewertet, es gab Listen bzw Punkte.

Die ersten Mädels waren schon schwanger.

Boah, das war gar nicht meine Welt. Ich habe mir geschworen, ich nehme nur einen Typen, der noch nichts mit meinen Kameradinnen hatte.

Und dann habe ich jemanden kennen gelernt, der sogar ein Bücherregal hatte. Ich war hin und weg. Wir kamen ziemlich schnell zusammen. Und er hat mehr in mir gesehen, mich gefördert.

Das sitzenbleiben hat mich geerdet. Ich habe weniger geschwänzt und kam ganz gut durch bis zur 10. 

Es wurde Zeit sich eine Ausbildung zu suchen.

Durch das Hüttenbauen bei der Kinder- und Jugendfarm habe ich meine Liebe zum Holz entdeckt und eine Schreinerlehre gemacht. Ein schöner Beruf, aber ich konnte mir nicht vorstellen, bis Ende 60 Fenster und Möbel zu schleppen. 

Also habe ich mein Fachabitur gemacht. 

Man hat mir immer oft genug gesagt, wie dumm ich sei, aber durch eine abgeschlossene Lehre dauert ein Fachabi nur ein Jahr. Was hatte ich zu verlieren? 

Auch wenn meine Familie sagte, ich solle lieber arbeiten und Geld verdienen, das Fachabi schaffe ich sowieso nicht.

Ich habe es ohne große Schwierigkeiten geschafft.

Und jetzt? 
Auf Studieren war ich nicht vorbereitet. Es war absurd. Aber irgendwie auch verlockend. 

Ich habe mich für Journalismus beworben, aber dafür hätte ich eine zweite Fremdsprache lernen müssen. Englisch war mir schon zu viel.

Ich wollte Angewandte Kunst und Möbeldesign studieren und habe einen zweitägigen Eignungstest gemacht, aber die Professorinnen meinten, ich solle mich nächstes Jahr wieder bewerben und in der Zwischenzeit mein künstlerisches Talent weiter entwickeln.

Und ich habe mich für Buch- und Verlagswesen beworben, weil ich Bücher liebe.
Bei der Bewerbung war ich leicht betrunken und gab als zweiten Studienwunsch Wirtschaftsmathematik an. Mathematik hat mir schon immer Spaß gemacht. Für Buch- und Verlagswesen waren meine Zeugnisse zu schlecht.

Upps, entgegen den Erwartungen meiner Familie bin ich heute Diplom-Mathematikerin.

Ich habe das Studium nur aus Trotz durchgezogen und geschafft, mit dem Ansporn: Euch werd ich’s zeigen. Es war die Hölle! Ich bin ganz allein in eine fremde Stadt gezogen.
Die meisten Kommilitonen kamen vom Gymnasium, Leistungskurs Mathe. Im ersten Semester kamen Formeln, von denen ich noch nie gehört hatte, für die anderen waren das Fingerübungen.

Die anderen kamen aus elitäreren Kreisen.

Ich war total überfordert. Ich habe keinen Anschluss gefunden. Ich habe viel Wein getrunken. Irgendwann habe ich mich selbst verletzt, um mich zu spüren.

Es tut heute noch weh, wenn ich an diese Zeit zurückdenke. Aber so schmerzhaft es auch war, es war wie eine neue Geburt.
Damals entstand meine erste veröffentlichte Geschichte:
Januarnacht. In der Anthologie: Und niemand glaubt an mich?!

Ich kann euch aus eigener Erfahrung sagen:
Glaubt an euch!
Glaubt an eure Mitmenschen.
Viele haben einfach keine Perspektive, aggressives Verhalten ist oft ein Schrei nach Aufmerksamkeit. Statt mit Vorurteilen um sich zu werfen, schaut hin, schaut hinter die Fassade.

Dahinter stecken oft schöne Menschen, nur ihre Wunden machen sie hässlich.

Ich hatte das Glück, dass jemand mehr in mir gesehen hat. Und ich habe viele Menschen getroffen, die mehr in mir gesehen haben.

Heute bin ich erfolgreich selbständig. Ich lebe mit Mann und Hund in einem eigenen Haus im idyllischen Teufelsmoor.

Und das können so viele andere, die von der Gesellschaft ausgeschlossen sind auch erreichen.

Nein, nicht jeder kann es schaffen. Aber in vielen steckt bedeutend mehr Potentail, als die Gesellschaft in ihnen sieht.

Interessieren dich mehr Geschichten wie ich mir selbst zu einem erfolgreichen Leben verholfen habe?
Dann schau auf meinen Blog.
Oder schreibe mir eine Nachricht und ich schreibe im Blog mehr darüber.

Warum ich schreibe

 

Schreiben ist Selbstreflexion.

Durch das Schreiben erkläre ich mir die Gesellschaft, tauche durch meine Geschichten in neue Perspektiven ein.

Ich liebe das Tiefseelentauchen.

Ich schreibe die Geschichten, die ich gebraucht hätte, als ich jung war.

Ich möchte die Gesellschaft durch das Schreiben ermutigen, hinzuschauen statt wegzuschauen.

Ich möchte den Underdogs der Gesellschaft eine Stimme geben, weil ihnen niemand zuhört, weil sie niemand wahrnimmt.

Ich möchte die Gesellschaft besser machen.
Ich möchte Menschen ermutigen, über sich hinauszuwachsen.
Ich weiß, wie schwer es ist, abgeschrieben zu werden.
Jeder Mensch verdient ein Leben in Würde.
Und viele verlieren ihr Leben im Schmerz und nicht in der Hoffnung.

Ich habe einen Traum, in dem jeder Mensch gleich ist.
Ich habe einen Traum, in dem jede Frau laut und wütend sein darf.
Ich habe einen Traum, in dem jede Frau sich selbst gefällt, ohne die Erwartungen anderer erfüllen zu müssen.
Ich habe einen Traum, in dem jede Frau ohne Angst lebt.
In meinem Traum gibt es keine Angst, nicht zu genügen, keine Angst vor Übergriffen, keine Angst vor Gewalt.
In meinem Traum ist jede Frau frei. Frei in ihren Entscheidungen. Frei ihr Leben zu leben.
In meinem Traum kann eine Frau glücklich und erfüllt sein, auch ohne Mann, auch ohne Kind.

Mein Traum wird seit Jahrhunderten geträumt.
Mein Traum ist für viele Frauen zum Alptraum geworden.
Das wirkliche Leben vieler Frauen ist ein Albtraum.

Ich habe einen Traum, in dem alle Menschen gleich sind.
Ich habe einen Traum, in dem es kein Outing gibt, weil jede Sexualität selbstverständlich ist.
In meinem Traum lächle ich und bin ruhig.
In meinem Traum bin ich glücklich, ein Teil dieser Gesellschaft zu sein.

Ich weiß, es ist nur ein Traum.
Ein Traum, den viele träumen.

Träumst du mit mir?


Dann schau auf meinen Blog.

Meine Werte

 

Als ich in der Schule mal wieder aus der Klasse geflogen bin und zum Direktor musste, sagte er zu mir: “Du hast einen sehr ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, du weißt nur nicht, wie man ihn richtig einsetzt.

Ich weiß bis heute nicht, was er damit meinte, war ihm die Inkompetenz dieser beiden Lehrer bewusst, bei denen es keine 5 Minuten dauerte, bis ich rausflog?

Jedenfalls habe ich einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Das dachte ich sehl lange.

Aber was ist gerecht?
Dass es keine Ausbeutung gibt. Dass alle Menschen gleich sind und die gleichen Chancen haben. Dass Gewalttaten angemessen bestraft werden.
Wer Gerechtigkeit will, muss auch gerecht handeln, sich selbst gegenüber, aber auch in der Erwartung der anderen.

Und wer definiert was gerecht ist?

Gerechtigkeit kann sehr subjektiv werden.

Bin ich immer gerecht? – Fast immer.
Mir selbst gegenüber? – Niemand ist mir gegenüber strenger als ich.
Den anderen gegenüber? – Unmöglich! Jeder hat seine eigene Realität, jeder hat andere Erwartungen.

Gerechtigkeit ist von der Natur nicht vorgesehen.
Es gilt das Recht des Stärkeren. Fressen oder gefressen werden.

Gerechtigkeit ist ein moralisches Konstrukt der Menschen, um Ordnung zu halten. Um Verbrechen zu sühnen.

Dafür stehe ich:
– Authentizität
– Sinnhaftigkeit
– Ehrlichkeit

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