Ein Gastbeitrag von Isabel Wey

Du hattest einen beschissenen Tag in der Schule und willst eigentlich nur noch deine Ruhe. Du willst dir was zu essen machen und dich in dein Zimmer einschließen. Meist gibt‘s nur Toast mit Schoko. Oder Dosenravioli. Du würdest dir gerne mal was Vernünftiges kochen, aber der Kühlschrank ist leer. Und wie man richtig kocht, hast du nie gelernt. Wer hätte es dir auch beibringen sollen? Deine Mutter? Dein verschwundener Vater? Oder die Oma, die du nie hattest? Nein, du bist allein. Auf dich gestellt. Da musst du mit Dosenravioli zufrieden sein.
Wenn Du nach Hause kommst, riecht es nicht nach einem leckeren Mittagsessen. NIE! Nicht ein einziges Mal. Es riecht nach Alkohol. Nach zu viel Alkohol. Manchmal auch nach Urin. Dann weißt du, dass du irgendwo wieder Pisse aufputzen musst. Du hoffst, dass es nicht wieder auf den Teppichboden gegangen ist. Das versiffte Ding solltest du am besten ganz entsorgen. Denn wie schlecht erzogene Katzen, machen auch besoffene Mütter meistens auf den Teppich.
Wenn Du nach Hause kommst, schlägt dein Herz dir bis an die Augenbrauen. Welche böse Überraschung erwartet dich wohl diesmal? Lebt sie noch? Wie besoffen ist sie wohl? Was hat sie getrunken? Nur Rotwein? Dann wird sie tief und fest schlafen, und du hast deine Ruhe. Dann stellst du ihr ein Glas Wasser hin, weil sie immer so großen Durst hat, wenn sie wieder zu sich kommt. Und gleich daneben einen Eimer, falls sie wieder kotzen muss und es nicht bis ins Bad schafft. Du fühlst ihre Stirn, um sicher zu gehen, dass es ihr gut geht. Dass sie nur besoffen ist. Nicht tot.
Oder Vodka? Wenn sie Vodka getrunken hat, wird dein Nachmittag und auch der Abend, ach die ganze Nacht, zur Geisterbahnfahrt. Wie aus dem Nichts kann er aufspringen – der Zombie auf dem Sofa. Und losbrüllen. Wie eine Verrückte in einer Gummizelle. Wie eine Furie. Laute lange Schreie. Und dann geht es los. Das „Lobeskonzert“. An dich und deine Existenz.
„Wärst du doch nie geboren! Dann wäre er bei mir geblieben!“
„Wärst du doch nie geboren! Dann hätte ich arbeiten können, als er weg war!“
„Wärst du doch nie geboren! Dann hätte ich ein Leben!“
Du bist aber geboren!
Du weißt, dass sie es eigentlich nicht so meint. Wenn sie nüchtern ist, kann sie auch nette Dinge sagen. Aber das passiert nicht oft. Selten. Fast nie.
Wenn du Glück hast, bleibt es bei dem Gebrüll. Das kannst du verkraften. Hörst einfach nicht hin. Es sind nur Worte, die dich treffen. Das klappt mit ihrer Hand leider nicht. Wenn die dich trifft, das brennt. Aber nur, wenn sie flach ist. Wenn die Hand eine Faust ist, ist das ein anderer Schmerz. Dumpf, tief und lang. Viel länger als das Brennen.
Wenn du ganz viel Pech hast, fliegen Gläser. Oder Flaschen. Leere Flaschen. Halbvolle Flaschen. Aber die sind seltener. Die braucht sie ja noch. Wenn Sachen fliegen, wird’s gefährlich. Wenn die dich treffen, landest du im Krankenhaus, nicht deine Mutter. Dabei hätte sie es eher nötig. Vielleicht solltest du dich mal treffen lassen. Vielleicht würde sich dann was ändern? Vielleicht trifft sie dich aber an einer schlechten Stelle, und dein Leben ist vorbei. Dann gibt’s dich nicht mehr.
Nach einem Scheißtag in der Schule kommst du also in dein Scheiß-Zuhause. Du schließt auf. Und lauschst. Kein Schreien. Das ist gut. Du steckst den Kopf durch den Türschlitz und riechst. Du tippst auf Rotwein und traust dich hinein. Langsam gehst du den Flur entlang. Bloß kein Geräusch machen. Erstmal die Lage checken. Du schielst in die Küche. Leer. Auf dem Tisch steht noch der Kaffee vom Morgen. Gleich daneben der überquellende Aschenbecher.
Als nächstes kommt das Wohnzimmer. Du drückst die Tür leicht an. Du hörst nichts. Kein Schnarchen, kein Fernseher. Nichts. Du wirfst einen Blick in den Raum. Auf dem Couchtisch stehen zwei Flaschen. Eine Rotweinflasche und eine Vodkaflasche. Was `ne ekelhafte Mischung! Was daraus wohl wird? Der Vodka macht sie zur Furie. Der Rotwein macht, dass sie schläft. Vielleicht gleicht das eine das andere aus?
Vielleicht schläft sie in ihrem Bett. Du schleichst weiter. Willst nur kurz ins Bad und dann in dein Zimmer. Warum kannst du hier nicht allein wohnen? Dann könntest du ein echtes Zuhause daraus machen. Eine saubere Küche. Ein gemütliches Wohnzimmer. Ein hygienisches Badezimmer. JA! Alleine wäre es sicher besser. Vielleicht sollte sie lieber ganz gehen. Sowie dein Vater. Vielleicht wäre es besser, sie würde einmal einen Schluck zu viel nehmen. Dann wäre das alles hier vorbei. Dann hättest du deine Ruhe. Deinen Frieden.
Nur kurz ins Bad. Dann ab in dein Zimmer.
Warum geht die Tür nicht auf? Hat sie sich im Bad eingeschlossen? Du hast doch alle Schlüssel der Wohnung verschwinden lassen, nachdem sie sich das letzte Mal eingeschlossen hatte und auf dem Klo eingepennt war. Du wolltest nicht beim Nachbarn klingen. Das war dir zu peinlich. Hast in der Küche ins Spülbecken pissen müssen. Das war das Ekelhafteste und Entwürdigendste, das du bisher machen musstest.
Die Tür geht nur einen kleinen Spalt weit auf. Du kannst nix sehen. Du steckst die Hand durch. Was hat sie gegen die Tür gelegt? Was kann so schwer sein?
Du ertastest etwas Kaltes. Etwas Kaltes … etwas Behaartes. Ihr Bein! Sie liegt auf dem Fußboden im Bad. Du stemmst dich mit all deiner Kraft gegen die Tür und schiebst deine am Boden liegende Mutter beiseite.
Lebt sie noch? Hast du sie mit deinem Wunsch nach Frieden umgebracht?
Sie stinkt. Alles stinkt. Zielsicher war sie noch nie. Der Boden, die Wanne – alles voll gekotzt.
Du legst vorsichtig zwei Finger an ihren Hals. Ihr Puls ist schwach. Sie atmet kaum. DAS wird sie nicht ausschlafen können. Du musst was tun. Ein Handy hast du nicht. Dafür gibt’s kein Geld. Aber sie hat eins.
Du suchst. In der Küche. Im Wohnzimmer. Im Schlafzimmer. Wo ist das Scheißteil? Im Bad? War ja klar. In der Wanne. In der Kotze. Mit zwei Fingern fischst du es raus, wischst es mit dem Handtuch ab und wählst den Notruf.
„Nora Hansen hier. Ich brauche einen Krankenwagen in die Reifburgerstraße 17 – Wohnung 45. Meine Mutter liegt bewusstlos auf dem Boden.“
„Ok. Nora. Wir schicken gleich jemanden los. Wie alt bist du Nora?“
Was interessiert die dein Alter? Will die dich adoptieren, oder was?
„15.“
„Weißt du was deiner Mutter fehlt, Nora?“
„Na, gesoffen hat sie. Wie immer. Nur diesmal halt was zu viel. Oder die falsche Mischung. Was weiß ich. Sie hat gekotzt und atmet nur noch leicht und ihr Puls ist schwach.“
„Die Sanitäter sind unterwegs. Bist du alleine oder ist jemand bei dir?“
„Wir sind allein – meine Mutter und ich.“ Wie immer.
Wenig später hörst du schon die Sirenen. Wie ferngesteuert öffnest du die Wohnungstür und lässt die Sanitäter rein. Sie legen deine Mutter auf die Trage und versorgen sie. Dabei flüstern sie. Wollen sie nicht, dass du hörst, wie schlecht sie mieft? Das weißt du doch selbst. Oder dass du hörst, wie schlecht es um sie steht? Wird sie etwa …
Angst steigt in dir hoch. Panik. Sie ist und bleibt deine Mutter. Deine Mama. Alles, was du hast. Was machen die mit Kids in deinem Alter, die niemanden mehr haben? Kommen die noch ins Waisenheim? Oder in so eine beschissene Pflegefamilie, in der beim Essen gebetet und über Gefühle geredet wird?
Am besten, du packst deinen Kram und machst dich vom Acker. Bevor die auf blöde Ideen kommen. Wie eine Wahnsinnige stopfst du Klamotten und Toast in deinen Rucksack und schnappst dir die Jacke.
Die Sanitäter rollen deine Mutter zur Wohnungstür.
„In welches Krankenhaus wird sie gebracht?“, fragst du vorsichtig nach.
„Das werden sie dir alles in Ruhe erklären. Es wird gleich jemand für dich da sein“, antwortet dir der Sanitäter mit ruhiger Stimme.
„Was soll das heißen? Für mich kommt jemand?“
„Bist du Nora?“ Du drehst dich um und vor dir steht eine junge Frau in Jeans und grünem Pulli. Gefolgt von zwei Bullen. Sie sieht dich mit einem mitleidigen Blick an. „Ich bin Frau Robert vom Jugendamt. Tut mir sehr leid, was mit deiner Mutter passiert ist. Ich kümmere mich jetzt um dich. Du wirst vorübergehend in einer Wohngruppe untergebracht, in der auch andere Jugendliche in deinem Alter leben. Dort wirst du bleiben, bis deine Mutter wieder gesund ist.“
„Wohngruppe? Ich komm allein klar.“
„Nora, du darfst nicht alleine bleiben. Du bist noch minderjährig. Du musst mit mir kommen oder bei Verwandten unterkommen. Hast du jemanden?“ Verwandte! Du könntest dir doch einfach Verwandte ausdenken. Aber da wird sie dich dann wohl auch noch höchstpersönlich hinbringen wollen. Und das wahrscheinlich im Streifenwagen. Scheiße! Du sitzt in der Falle.
Du hast keine Lust mehr. Keine Lust auf Dosenravioli und Kotze. Keine Lust auf Schreie und fliegende Gläser. Du weißt nicht, was jetzt kommt. Du weißt nicht, wohin es geht. Du weißt nicht, mit wem du es zu tun kriegst. Du weißt nur eins. Alles kann eigentlich nur besser sein als das, was du bisher kennst.
Stell dir das mal vor, Mama. Stell es dir einfach mal vor.
Das ist mein Leben.

Hallo, mein Name ist Isabel und ich lebe und schreibe im wunderschönen Ostbelgien.

Warum ich so gut Deutsch spreche? Na, weil das alle Ostbelgier tun. Wir sind die deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens. Ja, die gibt’s wirklich.

Und um genau diese soll es in meiner historischen Trilogie gehen, in der ich die Erlebnisse der Menschen dieses kleinen Grenzgebietes in den Zeiten der beiden Weltkriege aufarbeiten möchte.

Weil das Herumreisen in vergangenen Zeiten aber sehr anstrengend ist, lenke ich mich gerne mit dem Schreiben von Kinderbüchern ab. Denn es gibt nichts was so viel Spaß macht, als für Kinder zu schreiben und ihnen vorzulesen.

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Schlecht gelaunt durch die Pubertät

 

Als ich neun Jahre alt war, kam die Wende. Ich komme aus einer Stadt, die selbst für DDR-Verhältnisse hinterwäldlerisch war. Bei uns kam alles ein bisschen später.
Meine Lieblingslehrerin arbeitet jetzt an der Pommesbude, weil sie bei der Stasi war.

Während meine Mitschülerinnen stolz ihre Brustansätze in floralen Bodies zeigen, verschwindet mein Body in übergroßen Totenkopf-T-Shirts.

In einer Erinnerung übe ich mit einer Mitschülerin eine Choreographie zu Madonnas „Like a Virgin“, in einer anderen sitze ich mit einer anderen Mitschülerin auf einer Friedhofsbank und wir trinken Kellergeister, die wir vorher im Laden gezockt haben.

Meine Erinnerungen sind ein Kaleidoskop der unterschiedlichsten Kameradinnen, Cliquen, Diebstähle, Alkohol, Rauchen, Schule schwänzen, in Gärten einbrechen. Die Liste ist lang, die Konsequenzen selten.

Einmal wurden wir in der Hofpause beim Zigarettenklauen erwischt. Die Hofpause vor der Geschichtsarbeit. Polizei – Revier. Die Eltern meiner Klassenkameradin haben mich mitgenommen.
Konsequenzen?
Wir schrieben die Klassenarbeit nach. Der Detektiv kam nicht zur Verhandlung. Wir haben Hausverbot bekommen.
Ich weiß gar nicht, ob meine Mutter das je erfahren hat. Mein Bruder hat mich zur Verhandlung begleitet, er war damals schon 16. Ich habe ihm dafür zwei Ohrlöcher stechen lassen.

Es kann sehr schnell gehen, dass man abrutscht. Alles geht so schnell. Meine Pubertät ist wie ein Jahrmarkt in meinem Kopf. Viele Eltern merken das gar nicht.

Ich war nie ein Mitläufer. Ich war orientierungslos, gelangweilt, ohne Perspektive.

Aber kein Mitläufer. Manche Leute wurden mir zu grob, zu asozial. Alkohol, Frauen wurden geschlagen. Eine Kneipe wurde überfallen – der Typ wohnte im Block darüber, natürlich wurde er geschnappt. Es gab viele Schlägereien. Überfälle.

Ich fand meinen Weg zu einer Kinder- und Jugendfarm, wo Kiddies Hütten bauen konnten. Das Beste, was mir passieren konnte.
Der erste Lichtblick, der mein Leben in geordnete Bahnen lenkte.
Diese Einrichtung hat mir das Leben gerettet. Und die Gelder für solche Einrichtungen wurden schon damals massiv gekürzt.

Das ist heute eines meiner großen Anliegen.

Dem sozialen Engagement mehr Aufmerksamkeit und Glanz zu verleihen.
Denn bei Streetworkern, Sozialarbeitern und im gesamten Sozialbereich wird nur mit dem Rotstift hantiert.

Interessieren dich mehr Geschichten aus einer rebellischen Jugend?
Dann schau auf meinen Blog.
Oder schreibe mir eine Nachricht und ich schreibe im Blog mehr darüber.

ein Mädchen schaut ängstlich in die Kamera, ein Mann hält ihr den Mund zu
TW: Sexualisierte Gewalt


Meine erste einschneidende Erinnerung, da muss ich gerade erst in die Schule gekommen sein, wenn überhaupt. Ich war mit einer Bekannten unterwegs.

Wir gingen am Friedhof entlang. Am Zaun stand ein älterer Mann mit seinem Ding in der Hand. Meine Begleiterin sagte, er masturbiere. Ich kannte den Ausdruck nicht. Ich habe mir auch nichts dabei gedacht, als ich wieder zu Hause war.

Für meine Begleiterin war es wohl eine größere Sache und sie erzählte es ihrem Vater, der Polizist war. Und da fing das Drama an. Ich musste auf die Wache gehen und Alben voller Straftäter durchsehen, um zu sehen, ob ich den Mann wiedererkannte.

Damals wusste ich noch nicht einmal, dass all diese Männer Straftaten begangen hatten, ich erkannte niemanden wieder.

Das Ende vom Lied war, dass das andere Mädchen ihre Aussage zurückzog und meinte, der Mann hätte wahrscheinlich nur gepinkelt.

Mein Gefühl sagt mir, dass man mir damals vorgeworfen hätte, ich hätte dramatisiert und so einen Aufstand gemacht. Aber ich erinnere mich nicht.

Ein paar Jahre später wurde es deutlicher. Im Plattenbau im Erdgeschoss wohnte ein älterer Herr, der immer an die Balkontür klopfte und sich einen runterholte.
Das Schlimme war, dass er auch eine Frau hatte. Und ein kleines Mädchen war auch öfter da.
Wir haben ein paar Mal geklingelt, um das Mädchen kennenzulernen, ob es ihm gut geht.
Aber es hat nie jemand aufgemacht.
Wir haben bei Nachbarn geklingelt und ihnen Bescheid gesagt. Aber niemand hat uns ernst genommen.
Irgendwann haben wir einfach nicht mehr auf das Klopfen reagiert.

Und heute frage ich mich, ob es derselbe Mann vom Friedhof war.

Aber der Gedanke drängt sich noch mehr auf: Ist das Mädchen unversehrt? Und hat wirklich keiner der Nachbarn etwas bemerkt?

Als ich etwa 12 Jahre alt war, fuhr ich mit meinem Klapprad nach Hause. Ich überholte einen Jungen. Ich wollte ihn nicht ärgern, ich war einfach schneller.
Er ist mir dann hinterhergefahren. Als ich ins Haus ging, um mein Fahrrad in den Keller zu bringen, hielt er mir plötzlich die Tür auf. „Schön“, dachte ich nur.
Er folgte mir in den Keller, drängte mich in eine Ecke und griff mir zwischen die Beine. Ich wehrte mich, schlug um mich. Ich erinnere mich nicht, auch nur einen Laut von mir gegeben zu haben. Es gelang mir, ihn wegzustoßen, ich rannte die Treppe hinauf und klingelte.
Er ist an mir vorbei, auf sein Fahrrad und weg.
Ich habe mein Rad wieder aufgehoben und bin zu meinen Klassenkameradinnen gefahren.
Sie haben mir nicht geglaubt.
Ich habe geschwiegen. Warum sollte ich lügen? Ich habe nie Geschichten erzählt, um mich wichtig zu machen. Warum sollte ich jetzt damit anfangen?
Ich habe den Vorfall schnell vergessen. Es war ja nichts passiert.

Es blieb nur das Gefühl, dass einem niemand glaubt.
Und ich bin fest davon überzeugt, dass jede Frau schon einmal sexualisierte Gewalt erlebt hat.
Viele bagatellisieren die Erinnerung:
Es ist ja nichts passiert.
Das ist doch normal.
Du hast es provoziert.
Hak es ab.


Und ich glaube, dass die meisten Frauen viel schlimmere Erfahrungen gemacht haben als ich.

Agatha Huxley mit 20 Jahren und Schildkröte in der Hand grinst in die Kamera.Adoleszenz

 

In der 8. Klasse bin ich sitzen geblieben. 

In meinen Cliquen wurden die Mädchen herumgereicht, und sowohl Mädchen als auch Jungen haben Sex bewertet, es gab Listen bzw Punkte.

Die ersten Mädels waren schon schwanger.

Boah, das war gar nicht meine Welt. Ich habe mir geschworen, ich nehme nur einen Typen, der noch nichts mit meinen Kameradinnen hatte.

Und dann habe ich jemanden kennen gelernt, der sogar ein Bücherregal hatte. Ich war hin und weg. Wir kamen ziemlich schnell zusammen. Und er hat mehr in mir gesehen, mich gefördert.

Das sitzenbleiben hat mich geerdet. Ich habe weniger geschwänzt und kam ganz gut durch bis zur 10. 

Es wurde Zeit sich eine Ausbildung zu suchen.

Durch das Hüttenbauen bei der Kinder- und Jugendfarm habe ich meine Liebe zum Holz entdeckt und eine Schreinerlehre gemacht. Ein schöner Beruf, aber ich konnte mir nicht vorstellen, bis Ende 60 Fenster und Möbel zu schleppen. 

Also habe ich mein Fachabitur gemacht. 

Man hat mir immer oft genug gesagt, wie dumm ich sei, aber durch eine abgeschlossene Lehre dauert ein Fachabi nur ein Jahr. Was hatte ich zu verlieren? 

Auch wenn meine Familie sagte, ich solle lieber arbeiten und Geld verdienen, das Fachabi schaffe ich sowieso nicht.

Ich habe es ohne große Schwierigkeiten geschafft.

Und jetzt? 
Auf Studieren war ich nicht vorbereitet. Es war absurd. Aber irgendwie auch verlockend. 

Ich habe mich für Journalismus beworben, aber dafür hätte ich eine zweite Fremdsprache lernen müssen. Englisch war mir schon zu viel.

Ich wollte Angewandte Kunst und Möbeldesign studieren und habe einen zweitägigen Eignungstest gemacht, aber die Professorinnen meinten, ich solle mich nächstes Jahr wieder bewerben und in der Zwischenzeit mein künstlerisches Talent weiter entwickeln.

Und ich habe mich für Buch- und Verlagswesen beworben, weil ich Bücher liebe.
Bei der Bewerbung war ich leicht betrunken und gab als zweiten Studienwunsch Wirtschaftsmathematik an. Mathematik hat mir schon immer Spaß gemacht. Für Buch- und Verlagswesen waren meine Zeugnisse zu schlecht.

Upps, entgegen den Erwartungen meiner Familie bin ich heute Diplom-Mathematikerin.

Ich habe das Studium nur aus Trotz durchgezogen und geschafft, mit dem Ansporn: Euch werd ich’s zeigen. Es war die Hölle! Ich bin ganz allein in eine fremde Stadt gezogen.
Die meisten Kommilitonen kamen vom Gymnasium, Leistungskurs Mathe. Im ersten Semester kamen Formeln, von denen ich noch nie gehört hatte, für die anderen waren das Fingerübungen.

Die anderen kamen aus elitäreren Kreisen.

Ich war total überfordert. Ich habe keinen Anschluss gefunden. Ich habe viel Wein getrunken. Irgendwann habe ich mich selbst verletzt, um mich zu spüren.

Es tut heute noch weh, wenn ich an diese Zeit zurückdenke. Aber so schmerzhaft es auch war, es war wie eine neue Geburt.
Damals entstand meine erste veröffentlichte Geschichte:
Januarnacht. In der Anthologie: Und niemand glaubt an mich?!

Ich kann euch aus eigener Erfahrung sagen:
Glaubt an euch!
Glaubt an eure Mitmenschen.
Viele haben einfach keine Perspektive, aggressives Verhalten ist oft ein Schrei nach Aufmerksamkeit. Statt mit Vorurteilen um sich zu werfen, schaut hin, schaut hinter die Fassade.

Dahinter stecken oft schöne Menschen, nur ihre Wunden machen sie hässlich.

Ich hatte das Glück, dass jemand mehr in mir gesehen hat. Und ich habe viele Menschen getroffen, die mehr in mir gesehen haben.

Heute bin ich erfolgreich selbständig. Ich lebe mit Mann und Hund in einem eigenen Haus im idyllischen Teufelsmoor.

Und das können so viele andere, die von der Gesellschaft ausgeschlossen sind auch erreichen.

Nein, nicht jeder kann es schaffen. Aber in vielen steckt bedeutend mehr Potentail, als die Gesellschaft in ihnen sieht.

Interessieren dich mehr Geschichten wie ich mir selbst zu einem erfolgreichen Leben verholfen habe?
Dann schau auf meinen Blog.
Oder schreibe mir eine Nachricht und ich schreibe im Blog mehr darüber.

Warum ich schreibe

 

Schreiben ist Selbstreflexion.

Durch das Schreiben erkläre ich mir die Gesellschaft, tauche durch meine Geschichten in neue Perspektiven ein.

Ich liebe das Tiefseelentauchen.

Ich schreibe die Geschichten, die ich gebraucht hätte, als ich jung war.

Ich möchte die Gesellschaft durch das Schreiben ermutigen, hinzuschauen statt wegzuschauen.

Ich möchte den Underdogs der Gesellschaft eine Stimme geben, weil ihnen niemand zuhört, weil sie niemand wahrnimmt.

Ich möchte die Gesellschaft besser machen.
Ich möchte Menschen ermutigen, über sich hinauszuwachsen.
Ich weiß, wie schwer es ist, abgeschrieben zu werden.
Jeder Mensch verdient ein Leben in Würde.
Und viele verlieren ihr Leben im Schmerz und nicht in der Hoffnung.

Ich habe einen Traum, in dem jeder Mensch gleich ist.
Ich habe einen Traum, in dem jede Frau laut und wütend sein darf.
Ich habe einen Traum, in dem jede Frau sich selbst gefällt, ohne die Erwartungen anderer erfüllen zu müssen.
Ich habe einen Traum, in dem jede Frau ohne Angst lebt.
In meinem Traum gibt es keine Angst, nicht zu genügen, keine Angst vor Übergriffen, keine Angst vor Gewalt.
In meinem Traum ist jede Frau frei. Frei in ihren Entscheidungen. Frei ihr Leben zu leben.
In meinem Traum kann eine Frau glücklich und erfüllt sein, auch ohne Mann, auch ohne Kind.

Mein Traum wird seit Jahrhunderten geträumt.
Mein Traum ist für viele Frauen zum Alptraum geworden.
Das wirkliche Leben vieler Frauen ist ein Albtraum.

Ich habe einen Traum, in dem alle Menschen gleich sind.
Ich habe einen Traum, in dem es kein Outing gibt, weil jede Sexualität selbstverständlich ist.
In meinem Traum lächle ich und bin ruhig.
In meinem Traum bin ich glücklich, ein Teil dieser Gesellschaft zu sein.

Ich weiß, es ist nur ein Traum.
Ein Traum, den viele träumen.

Träumst du mit mir?


Dann schau auf meinen Blog.

Meine Werte

 

Als ich in der Schule mal wieder aus der Klasse geflogen bin und zum Direktor musste, sagte er zu mir: “Du hast einen sehr ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, du weißt nur nicht, wie man ihn richtig einsetzt.

Ich weiß bis heute nicht, was er damit meinte, war ihm die Inkompetenz dieser beiden Lehrer bewusst, bei denen es keine 5 Minuten dauerte, bis ich rausflog?

Jedenfalls habe ich einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Das dachte ich sehl lange.

Aber was ist gerecht?
Dass es keine Ausbeutung gibt. Dass alle Menschen gleich sind und die gleichen Chancen haben. Dass Gewalttaten angemessen bestraft werden.
Wer Gerechtigkeit will, muss auch gerecht handeln, sich selbst gegenüber, aber auch in der Erwartung der anderen.

Und wer definiert was gerecht ist?

Gerechtigkeit kann sehr subjektiv werden.

Bin ich immer gerecht? – Fast immer.
Mir selbst gegenüber? – Niemand ist mir gegenüber strenger als ich.
Den anderen gegenüber? – Unmöglich! Jeder hat seine eigene Realität, jeder hat andere Erwartungen.

Gerechtigkeit ist von der Natur nicht vorgesehen.
Es gilt das Recht des Stärkeren. Fressen oder gefressen werden.

Gerechtigkeit ist ein moralisches Konstrukt der Menschen, um Ordnung zu halten. Um Verbrechen zu sühnen.

Dafür stehe ich:
– Authentizität
– Sinnhaftigkeit
– Ehrlichkeit

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