„Wann hat der Horst denn schon wieder den Rasen gemäht?“
Ich dreh mich um zu Nachbars Garten. „Weiß nicht.“ Ich schaue zu unserem sprießenden Grün. „Ich muss morgen auch wieder mal ran.“
„Denkt keiner mehr an die Insekten.“
Ich schlage auf meine Halsschlagader, die habe ich erwischt. „Scheiß auf die Insekten.“
„Aber Manfred. Ohne Insekten kein schönes Vogelgezwitscher am Morgen.“
Und um so weniger Vogelschiss auf dem Auto.
Fett tropft auf die Grillkohle und es zischt. Gibt es etwas Beruhigenderes als den Duft von Feuer und Fleisch in der Nase?
„Manfred, denk dran, dass das Fleisch richtig durch ist.“
Also gibt’s heute wieder Schuhsohle. „‘türlich Schatz.“
„Aber nicht wieder anbrennen lassen. Das ist krebserregend.“
„‘türlich Schatz.“
Das Gemecker kann Mann nur runterschlucken.
„Manfred, trink nicht so viel Bier. Probier doch mal ein Wasser, das löscht den Durst und spült den Körper durch.“
„‘türlich Schatz.“
In meinen nächsten Leben, wenn ich als Fisch auf die Welt kommen.
Was ist das denn für ein Faden?
Ich drehe mich zu Sybille um. „Musst du immer und überall deine langen Loden verteilen? Das ist widerlich.“
Sybille fährt sich mit ihren Fingern übers Haar und bindet sich den Pferdeschwanz neu. „Stell dich nicht so an, sind doch nur Haare.“
Sind nur Haare. Ist ja nur das teuerste Biofleisch vom Metzger, das totgegrillt wird. Und ein Wohl auf die Insekten.
„Ach, schau mal Manfred, ist das nicht Uschi?“
Ich drehe mich zur Straße. „Ja.“
„Was hat sie denn da unter dem Arm?“
„Keine Ahnung. – Vielleicht eine Tasche?“
„Huhu, Uschi.“ Sie dreht sich zu uns um und nickt.
Sybille ist aufgesprungen. „Huhu, wo ist denn der Horst?“
Uschi behält ihren Stechschritt bei. „Der schläft. Ich muss weiter.“
Sybille starrt mich kritisch an.
Ich zucke zusammen. Was habe ich jetzt wieder falsch gemacht?
Sybille zieht eine Augenbraue hoch. „Schon komisch, oder?“
„Was?“
„Na der Horst. Der geht doch nicht so früh zu Bett.“
„Weiß nicht.“
„Also auf Partys ist er immer der Letzte, der geht.“
„Kann sein.“
„Genau wie du.“
Und das weißt du nur, weil du dann auch noch da bist. „So wird es sein, Schatz.“
„Aber der schläft doch jetzt noch nicht.“
„Vielleicht hat er Kopfschmerzen …“ Vom ewigen Gezeter seiner Frau.
„Sag mal, hatte Uschi da ein Kopfkissen unterm Arm? Was macht sie denn damit?“
„Weiß nicht Schatz.“
„Mensch pass doch auf Manfred, das Fleisch brennt doch schon wieder an.“
„Ach Mist. Gib mal den Teller.“
Scharfe Schuhsohle, prima.
Sybille löst wieder ihren Pferdeschwanz und ein Haar schwebt auf mein Steak. „Ach Sybille, das ist echt ekelhaft.“
„Ach stell dich nicht so an.“
Sie schüttelt ihr offenes Haar, lehnt sich vor und pult das widerliche Ding mit ihren spitzen Fingern von meinem Fleisch. „Ist doch nur ein Haar.“
Sie kommt mir mit ihrem Kopf immer näher. „Weißt du, was die Uschi mir letztens erzählt hat?“
Jetzt fängt der Tratsch auch noch an.
„‘türlich nicht.“
„Sogar das Kopfkissen wurde von einer Frau erfunden, wusstest du das?“
Nicht schon wieder der feministische Scheiß. Ich leere mein Glas in einem Zug. „Na, wenn die Uschi das sagt.“
Sybille nickt energisch mit dem Kopf und springt auf. Rasch räumt sie die Teller und das Besteck zusammen und stellt alles klirrend in das Servierkörbchen.
Ich umklammere mein Bierglas.
Nachdem sie mit dem Korb um die Hausecke verschwunden ist, hole ich mir heimlich noch eine Flasche aus dem Kühlschrank in der Garage. Hastig gieße ich das Glas voll, nehme einen ordentlichen Schluck und wische mir mit dem Unterarm über den Mund.
Sybille kommt zurück, setzt sich und schaut mich skeptisch an. Ich halte ihrem Blick stand.
Sie beugt sich vor und mein Herz beginnt zu bummern. Verschwörerisch flüstert sie: „Die Uschi, die hat nämlich erzählt, wie das früher so war. In der Steinzeit, damals, weißt du.“
„In der Steinzeit?“
„Ja, in der Steinzeit. Damals wurden die Frauen schon unterdrückt. Das ist sehr interessant. Und da gab es diesen Uh-Ah-Damus, der hat damals eine Eiszeit vorausgesagt.“
„Uh – Ah – Wer?“
„Na Uh-Ah-Damus. So ein Typ halt aus dem Rudel. Stell dir doch einfach vor, er hieße Uh-Ah-Damus. Das du auch nie Fantasie hast.“
„Rudel, mhm. Und der Typ aus dem Rudel wusste damals schon, dass eine Eiszeit kommt.“ Na das kann ja ein heiterer Abend werden. Wer kam eigentlich auf die Idee, heute zu grillen?
Sybille pickst mit ihrem Zeigefinger in meinen Oberarm.
„Mensch Manfred, stell dich doch nicht immer so an.“
Sie lehnt sich zurück und mustert mich mit hochgezogenen Augenbrauen.
„Da war jedenfalls diese Uh-Dine. Und ihre Freundinnen, die haben das auch nicht geschnallt. Aufgebracht hat Uh-Dine gerufen: Es wird kälter, Mädels.“ Sybille kneift ihre Augen zusammen und ihr Mund wird schmal und verkrampft. „Haar, haarsträubend kalt.“
Die Härchen auf meinen Armen stellen sich auf.
Sybille bemerkt es und grinst. Sie schüttelt mit dem Kopf und die Haare fliegen durch die Luft. Erneut greift sie sich in ihr Haar.
„Uh-Dine raufte sich ihre schwarze Mähne angesichts der Einfältigkeit ihrer Artgenossinnen. Und aus Frust vor deren Gleichgültigkeit schabte sie die letzten Fleischreste vom Fell des erlegten Mammuts.“
„Haben die das Mammut damals nicht samt Fell über das Feuer gehangen?“
Sybille schnauft verächtlich. „Das Feuer entdeckt Uh-Dine erst später.“ Sie haut mit den Handflächen auf den Tisch und ich zucke zurück.
„Jedenfalls mag Uh-Dine das saftige Fleisch, liebt das Fell des Tieres. Die strubbeligen Haare. Sie könnte sich darin einwühlen.“
Ich schenke mir den Rest des Bieres nach. Diese Uh-Dine wusste wenigstens noch, wie man Fleisch isst.
Sybilles Stimme kreischt: „Haare – Fell – Schutz vor Kälte – Eisdings – Haar, haarsträubend kalt …“
„Schatz, ich hab’s verstanden.“
Sybille richtet sich auf. „Unterbrich mich doch nicht ständig.“
Sie bindet sich erneut einen Pferdeschwanz und schürzt die Lippen. „Wo war ich stehen geblieben? Ah, ja. Uh-Dine spulte im Rückwärtsgang ihre Gedanken ab: Kälte? Fell dient zum Schutz vor Kälte …“
„Na aber wenn sie das schon wusste, das Fell wärmt, dann hätte sie es sicher schon vorher angezogen. Was trugen die denn damals, Uschis Meinung nach?“
Sybille schlägt sich die Hände vors Gesicht. „Ach Manfred …“ Sie senkt die Arme und lächelt mich an.
„Das war damals wie an einem FKK, weißt du. Nur haariger. Die waren doch damals stark behaart.“
Beim Gedanken an einen feministischen FKK, und Haaren an den Beinen und unter den Achseln richten sich erneut meine Härchen auf.
Sybille bemerkt die Gänsehaut und fährt fröhlich fort: „Also, Uh-Dine saß so da mit dem Fell und die Männer im Rudel gafften sie wollüstig an. Da legte sie das eben vom Fleisch abgeschabte Fell um ihre Blöße und befestigte es mit einer Knochenspange.“
„Ach, ne Knochenspange hatten die auch schon?“
Sybille räuspert sich. „Ja klar. Hast du mich nicht erst vor versammelter Nachbarschaft darüber belehrt, dass der Dosenöffner noch vor der Konservendose erfunden wurde?“
„‘türlich Schatz, natürlich gab es schon eine Knochenspange, bevor es etwas gab, das man mit einer Knochenspange zusammenhalten konnte.“
„Na also. Uh-Dine spürte die Wärme. Es war etwas ungewohnt! Selbstbewusst trat sie mit dem Fell um die Lenden vor die Sippe. Irritation machte sich breit. Uh-Dine sah in entsetzte Gesichter, in entzückte, in fassungslose – und in begierige.“
Sybille lehnt sich zurück und mustert mich. „Ah-Lpha, ihr Mann, entriss ihr mit der Macht des Anführers den Fetzen und schlang sich das haarige Etwas um seinen eigenen Körper. Es gefiel ihm.“
Sie beugt sich vor und stützt ihre Unterarme auf den Tisch. Aufgebracht sagt sie: „Die Weibchen des Clans erhielten zusätzlich zu ihren althergebrachten Aufgaben, dem Sammeln von Beeren und Holz und dem Bewachen des Feuers …“
„Ich dachte das Feuer entdeckt sie erst später?“
Ein tödlicher Blick trifft mich und ich rutsche tiefer in den Stuhl.
„Die Frauen bekommen immer mehr und mehr und mehr aufgebürdet, seit Jahrhunderten, nein Jahrtausenden. Und du feilscht, ob das Feuer früher oder später gehütet wurde.“
Ich glaub nicht, dass überhaupt die Frauen das Feuer gehütet haben.
„‘türlich.“
Sie nickt energisch mit dem Kopf. „Also, die Frauen hatten so schon genug zu tun und mussten nebenher noch in die serielle Herstellung von Lendenshorts. Sie saßen in der Runde und nähten mit Knochennadeln und Pflanzenfasern Bekleidung für die Männchen, die Jungen und sich selbst.“
„Für so viel Fell mussten die Männer aber oft auf die …“
Sybilles Blick ist haarsträubend und ich schlucke den Rest meines Satzes runter.
Mit ihrem Finger pocht sie im Stakkato auf den Tisch. „Uh-Dines Nadel geht geschwind über das Fell, während sie vor sich hinträumt. Als sie das fertige Stück anprobieren will, findet sie keinen Einstieg. Sie hat nur eine Seite offengelassen. Die weiteren Seiten sind mit homo-sapischer Gründlichkeit geschlossen.“
Sybille stoppt mit ihrer nervenden Geste und zieht ihre Augenbrauen zusammen. „Verärgert legt Uh-Dine die Nadel weg. Sie braucht eine Pause und geht zum Fluss, um Beeren zu pflücken. Die saftigen Früchte wirft sie gedankenverloren in die verunglückten Lendenshorts, die sie unter ihrem Arm mitgenommen hat.“
Ich nehme noch einen Schluck Bier, aber diese Geschichte lässt sich nicht schön trinken.
Sybilles Stimme bebt. „Als Ah-Lpha mit seinen Mannen von der erfolgreichen Jagd zurückkehrt und die prall gefüllten Shorts erblickt, reißt er sie aggressiv an sich. In den praktischen Fellsack packt er von da an sein Hab und Gut. Aus Angst vor Neidern umklammert er ihn nachts mit seinen Armen und legt schützend seinen Kopf darauf.“
Ich will mir den Rest Bier aus der Flasche einschenken. Mist, leer.
Sybille drückt ihren Rücken durch und wird steif wie ein Mammut-Stoßzahn. Als sie weiterredet, meine ich doch tatsächlich Haare auf ihren Zähnen zu erspähen und beuge mich etwas vor.
„Was guckst du denn so, Manfred?“
„Nichts, Schatz“, sage ich und lehne mich zurück.
Sybille schnauft. „Eines Morgens erwacht Uh-Dine. Um ihr Haupt ist es frisch. Hat die vorhergesagte Eiszeit schon angefangen? Ihr Blick geht zu Ah-Lpha, der auf Armeslänge von ihr entfernt liegt. Neben ihm ein Faustkeil. Und eine Strähne dunkles langes Haar. Reflexartig greift sie sich an den Kopf. Es ist weg. Ihre lange Mähne. Ihr Haar, das sie so liebte.“
Ich versuche, mein Schmunzeln zu verkneifen.
Sybille funkelt mich an. „Uh-Dine schaut erneut zu dem Fellsack, auf dem es sich ihr Mann bequem gemacht hatte. Daraus quillt eine weitere Strähne.“
Sybille ballt die Fäuste und Wutentbrannt reißt Uh-Dine Ah-Lpha ihr Eigentum unter dem Kopf hervor. Er erwacht. Dreht sich auf den Rücken und schaut sie mit zusammengekniffenen Augen an. Noch bevor er die Gefahr erkennt, drückt sie ihm den weichen, mit ihrem Haar gefüllten Fellsack auf Mund und Nase, bis er sich nicht mehr regt.“
Ich könnte meiner Frau jetzt auch den Mund stopfen. Ich gähne, um erkenntlich zu machen, dass sie nun langsam genug Aufmerksamkeit eingefordert hat.
Genervt aber entschlossen beendet sie ihren evolutionären Ausflug in die feministische Frauengeschichte. „Als der Rest der Sippe erwacht liegt Uh-Dine, die Erfinderin der Lendenshorts, des Fellbeutels und des Kopfkissenmordes seelenruhig auf dem gefüllten Fellsack, neben ihr der leblose Körper von Ah-lpha.“
Als ich im Bett liege schließe ich provokativ die Augen. Und ich stelle mir vor wie meine Frau für immer schweigt.
„Schlaf schön, mein Liebster“, flötet sie.
Ich öffne ein Auge und denk mir: Ach, eigentlich habe ich mich doch an sie gewöhnt.
Ich reiße das andere Auge auf, als ich bemerke, dass etwas Weißes, nein, ein florales Muster immer näherkommt. Bis es schwarz wird.